Unabhängigkeit & Gefühle

Ich wünsche mir Unabhängigkeit. Unabhängigkeit von der Meinung anderer Menschen. Frei sein. Die Reaktion anderer nicht über meine Stimmung oder mein Handeln entscheiden lassen.

Der Ist-Zustand zeigt meine Abhängigkeit:

  • Finden andere gut, was ich mache/wie ich bin, dann steigert das meine Stimmung
  • Finden andere nicht gut, wie ich bin/was ich mache oder sagen gar nichts dazu, dann senkt das meine Stimmung oder ich beginne zu zweifeln. An mir und dem wie ich bin.

Ich wünschte, ich wäre autark. Ich wünschte, es wäre mir wirklich gleichgültig wie andere auf mich reagieren - auf mein Handeln, mein Nicht-Handeln, meine Meinung, meine Art zu sein, wie ich mich anziehe, wie ich mich verhalte... Warum? Weil ich dann frei sein könnte und wirklich ich selbst sein. Tun und lassen, was ich will. Ich würde mich frei entfalten und mit Liebe und Überzeugung tun, was in mir schlummert.

Unabhängigkeit bedeutet nicht, dass ich keine Reaktionen möchte. Es bedeutet, Reaktionen wahr zu nehmen und dann frei entscheiden, ob sie Einfluss auf mich haben sollen oder nicht - statt mich in meinem Handeln und sein immer beeinflussen und verunsichern zu lassen.

Eine Pflanze, an der ständig rumgezupft wird - die fühlt sich doch nicht wohl. Bekommt die Pflanze hingegen Freiraum, sich so zu entfalten und so zu wachsen wie sie will, dann kann sie ihre wahre Pracht entfalten. Sie selbst sein.

Bei mir weckt das gleich Assoziationen vom wuchernden Efeu, der Grenzen leichtfüßig überwindet und so Mauerwerk zerstört, also andere verletzt. Das will ich auf gar keinen Fall, eher würde ich das Efeu unter einer Glocke halten. Doch ist das ein lebenswertes Leben? Es kann doch derjenige, dessen Grenzen durch das Efeu verletzt werden, Einhalt gebieten, in dem er die Triebe zurückschneidet und sich so an dekorativem Schmuck für die Vase freut. Vielleicht sind Menschen auch froh, Besuch vom Efeu zu bekommen? Freies Entfalten muss kein Nachteil für die Umgebung sein.

Zurück vom Efeu zur Pflanze, an der ständig gezuppelt wird, die immer wieder durchleuchtet wird und dessen Gärtner sich fragt: Mensch, soll ich die wirklich stehen lassen?

So geht es mir oft mit dem, was ich erschaffe. Zum Beispiel Blogbeiträge, in denen ich mein Herz öffne zu Themen, die mich bewegen, wie beispielsweise ein Leben ohne Atomstrom oder meine vegane Ernährung.

Den Weg mich nur noch vegan zu ernähren, wählte ich, weil ich nicht mehr anders konnte. Ich habe mit den Tieren gefühlt, was sie erleben, unter welchen Bedingungen sie leben und sterben. Ich will das nicht mehr. Ich will nicht mehr, dass Tiere für mich leiden und sterben. Davon bin ich überzeugt und ich gehe diesen Weg. Ich zeige mich mehr wie ich wirklich bin und sage meine Meinung. Damit verlasse ich eingelaufene Wege, betrete Land, das ich bisher nicht betreten habe.

Wenn ich nicht mehr zugehörig zur großen und schützenden Gruppe der Allgemeinheit bin, dann wühlt das viel in mir auf. Vor allen Dingen Ängste, abgelehnt und nicht verstanden zu werden. Das strengt mich an und löst auch Unsicherheit aus: Wie reagieren diejenigen, die mit mir bisher auf dem Weg gegangen sind? Ich wünsche mir deren Zustimmung und Anerkennung. Und damit mache ich mich abhängig. Weil ich die Bewertung anderer ungefiltert annehme und als Wahrheit sehe, statt mich davon zu befreien und mich so gut zu finden wie ich bin. Ganz egal, was andere meinen.

Zudem weiß ich nicht, was mich auf dem ungekannten Terrain - nämlich ganz ich selbst zu sein - erwartet. Irrwege? Sackgassen? Schlaglöcher? - das sind die Ängste, die sofort auftauchen. Die Hoffnungen kommen erst hervor, wenn ich bewusst darauf blicke: Schöne Wasserfälle. Sonnige Lichtungen inmitten von grün belaubten Wäldern. Plätschernde Bäche mit blühendem Ufer. Der Gesang der Vögel in den Baumwipfeln, begleitet vom Rauschen des Windes. Klare Luft für tiefe Atemzüge. Stille. Ruhe. Entdecken. Leben. Zufriedenheit. Eins sein mit der Natur. Frieden in mir fühlen. So viele Hoffnungen und schöne Aussichten, die mich berühren.

Ich sehe vor meinen innerem Auge mein inneres Kind, was dasteht und zittert und bibbert. Was geliebt werden will, egal wie es ist. Was geliebt werden will, wenn es traurig ist und trotzig und ängstlich und wütend, wenn es vor Angst um sich schlägt oder sich zurück zieht.

Ich öffne meine Arme und lege eine von der Sonne angewärmte Decke um die Schultern meines inneres Kindes. Halte es in meinen Armen. Setze mich und hebe es auf meinen Schoß, wiege es hin und her. Mir ist aufgefallen, wie groß mein inneres Kind geworden ist und so dünn. Sanft streichle ich ihr über den Rücken und wärme sie mit meinen Armen und wiege sie hin und her. Streichle über die Haare, küsse ihren Kopf. Wir wiegen uns sanft vor und zurück. Ich summe leise und spüre wie das Zittern inmitten der Decke langsam einer Ruhe weicht. Stille. Dann beginnt sie zu schluchzen. Meine Hände werden nass von ihren Tränen. Ich halte sie weiter und wiege sie sanft. Ich habe nicht das Gefühl, dass sie sprechen möchte, sondern einfach gehalten werden. Aufmerksamkeit. Jemand, der da ist ohne zu fragen, zu werten. Einfach sein. Plötzlich kommt Minu angelaufen und schnüffelt an den nackten Füßen meines inneren Kindes. Sie unterbricht ihr schluchzen. Minu schleckt mit ihrer warmen, weichen und leicht rauen Zunge über die Füße. Mein inneres Kind lupft den Kopf aus der Decke um zu schauen, was da vor sich geht. Minu schleckt unbeirrt weiter und ich beobachte wie ein Lächeln über das verweinte Gesicht meines inneren Kindes hüpft. Wir schauen uns an. Kichern los. Weinen und lachen gemeinsam.

"Ich hab' dich so lieb.", sagt sie mir und umarmt mich.
"Ich hab' dich so lieb." sage ich ihr und drücke meine Arme um ihren inzwischen warmen Körper.

Frieden. Alles darf sein. Traurigkeit. Ängste. Ohnmacht. Hoffnungslosigkeit. Hilflosigkeit. Glück. Liebe. Frohsinn. Leichtigkeit. Frei sein. Loslassen. Festhalten. Da sein. Weggehen. Schnell sein. Einschlafen. Verletzen. Trösten. Singen. Schimpfen. Wut. Zerstörung. Aufräumen. Frieden schließen. Unsicherheit. Ungewissheit. Vertrauen. Unklarheit. Mut. Hilfe. Lust. Leise sein und schreien. Mich verstecken und präsent sein. Stundenlang erzählen und tagelang schweigen. Neidisch sein und im Mittelpunkt stehen. Mich zurückgesetzt fühlen und verlassen sein spüren. Aufmerksamkeit geben und keine bekommen. Beschenkt werden und nehmen. Danken und geben. Kreativ sein und spinnen, verrückt sein und gleichzeitig rational. Überlegen und mich nicht entscheiden. Intuitiv sein. Mich schnell entscheiden. Fehler machen. Brav sein. Böse sein. Krach machen. Mich ärgern. Andere wütend machen. Berührt werden und andere aus der Fassung bringen. Grenzen setzen und 'Komm' rufen. Grenzen öffnen und 'Stopp' sagen. Mich jeden Tag neu entscheiden. Meine Meinung ändern. Still sein. Nachdenklich. Depressiv. Mich verstecken. Nein sagen. Andere verletzen. Mich selbst verletzen. Mir verzeihen und anderen verzeihen. Schuld auf mich nehmen und sie wieder ablegen.

Alles darf sein. Alles Anteile von mir - und noch viele mehr. Diese vielen inneren Anteile meiner Selbst passen kaum mehr an eine kleine Tafel, dafür brauche ich eine ganze Stadt, eine Veranstaltungshalle, ein ganzes Leben. Ich.

Anja Kolberg

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Erstellt durch: Anja Kolberg am Montag, 04 April, 2011
Thema: Blog - 2011, 1. Halbjahr, Blog - Mich selbst annehmen
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