Willkommen, Frühling!

Lieber Frühling,

ich habe lange auf dich gewartet, weil dein Vorgänger - der Winter - diesmal so streng war, unerwartet hart (der sonnenärmste, dunkelste seit Beginn der Wetteraufzeichnung) und immer wieder anders als die Jahre zuvor. Noch nie hab ich es in Köln immer wieder so viel schneien sehen, so wie ich es nur aus meiner Heimat kenne. Seit 1992 wohne ich 'auf der anderen Rheinseite' und Schnee war hier eher ein Phänomen. Das hat sich seit ein paar Jahren geändert. Und weil es dieses Jahr so kalt war und nass und schneereich, war ich dessen so müde und ich hab mich so auf dich gefreut. Anfang März hast du dich schon mal gezeigt... und es fühlte sich wunderbar an: Die Wärme. Die Sonne. Der Gesang der Vögel dazu und das Sprießen in der Natur. Doch der Winter kam zurück... Ich hörte, der kälteste März seit zehn Jahren...

 

Mein mutig aufgesetzer Frühlingsblumenkasten vor dem Bürofenster musste abgedeckt werden, weil die Primeln den erneuten Kälteeinbruch nicht verkrafteten. Wir mussten doch wieder Schnee vom Bürgersteig entfernen und die Sonne war wieder für lange Zeit futsch.

Gestern. Gestern war es endlich soweit: Der Tag deiner Geburt: Frühlingsanfang. Beim Blick nach draußen dachte ich nur: Ach du dicke Schneeflocke!

Hier bei uns in Köln schneite es zwar nur zaghaft (im Osten dafür um so stärker), aber ein Frühlingsanfang war nicht zu spüren. Mist! Also schnappte ich mir die Kamera beim Spaziergang mit Minu, um bei grau verhangenem Himmel und Schneeschauer zu schauen, ob du wirklich nicht da bist. Und ich entdeckte Zeichen von dir überall:

 

Da blühten an einer freien Stelle doch schon Forsythien. An anderer Stelle stand ein Strauch voller Knospen:

 

Ich fand erste grüne Blättchen:

 

... und viele Knospen an dem schönen Kirschbaum, den ich in voller Blüte im Wandkalender präsentierte:

 

Im Blumenkübel auf meiner Terrasse zeigen sich zwischen Moos und Zwiebelgrün die ersten Krokusse:

 

Die Zierkirsche im Garten steht ebenfalls in dicken Knöpfen:

 

Eine Traubenhyazinthe zeigt sich auch:

 

Ganz zu schweigen von den Osterglocken und Tulpen, die ich im Herbst pflanzte und dessen Grün sich schon aus der Erde erhoben hat. Sie warten ab, bis die Sonne wärmend scheint, die Stimmung freundlicher ist. Darauf freue ich mich!

Mein Bambus hat den Winter nicht unbeschadet überstanden, er wird aber weiterleben, das zeigt er mir deutlich. Im Beet hat ein Feld voller Vergissmeinicht den Winter prima überlebt und zweigt sich mir nun erwartungsvoll:

 

Heute früh scheint endlich die Sonne. Es hat über Nacht gefroren, doch den Primeln im Blumenkasten macht es nichts mehr aus. Sie scheinen ein wenig abgehärtet. Alle Zeichen stehen auf Frühling, wenn er auch anders gestartet ist als erhofft, nämlich wieder mit Schnee und Kälte.

Gestern habe ich gedacht: Wenn ich an einen Menschen solch eine Erwartungshaltung stellen würde wie an den Frühling. Puh! Ich vergleiche ihn mir seinen Vorgängern von früheren Jahren, die ja so viel wärmer und schöner waren. Ich kann seine Ankunft nicht erwarten, weil sein Partner, der Winter, teilweise unerträglich war.

Ich überhäufe den frisch geborenen Frühling mit Erwartungen. Und das ist nicht fair. Dabei fehlt mir der Blick für seine wirkliche Schönheit, für sein wirkliches Wesen. Jeder Frühling ist einzigartig, auch du, Frühling 2013. Ich höre jetzt auf, Erwartungen an deine Temperaturen, Sonnenstunden, Wärme, Niederschläge zu stellen und nehme dich so wie du bist.

Ist es nicht genau so im Leben? Ich habe Vorstellungen - und es kommt völlig anders. Ich habe Erwartungen an den Winter und er hört und hört nicht auf mit seiner Kälte und Schneeschauern. Ich habe Erwartungen an mich selbst und eine Phase der Unzufriedenheit, eine Krise hört und hört nicht auf. Weil immer wieder etwas Unerwartetes von außen dazwischen kommt und Rückschläge. Wieder und wieder läuft das Leben anders als geplant. Es gibt Lichtblicke, aber keinen Durchbruch.

Der Frühling zeigt mir: Es ist alles da. Die Natur hat sich gewappnet und gestärkt im Winter, das zeigt sich an den Knospen, das erzählen mir die Vögel, das lässt die Sonne mich erahnen, wenn sie da ist. Und so viel mehr Pflanzen liegen noch geschützt unter der Erde, die ich noch gar nicht sehen kann.

So ist es auch in mir, in jedem von uns. Gleich wie lang eine Krise dauert, wie ungnädig sie ist und wie fest sie auch sitzt, wie unerträglich sich der vermeintliche Stillstand, das nicht vorwärts kommen, anfühlt: Auch in uns hat sich Kraft gesammelt, Vergangenes sortiert. In uns liegt auch ein gut bestelltes Feld voller Zwiebelblumen, Beete mit prächtigen Stauden, Bäume voller Knospen, die alle nur noch auf den richtigen Zeitpunkt warten, um zu erblühen, aufzuspringen.

Dann fühlt es sich erst an wie ein Wunder: Ich drehe mich um und plopp ist eine Blüte offen, die lange verschlossen war. Wie von selbst erblüht neues Leben, neue Ideen, Wege zeigen sich, die vorher verschüttet schienen oder noch gar nicht sichtbar waren.

Es passiert einfach, weil es an der Zeit ist. Wir werden gelassen sein, uns frei fühlen, voller Kraft, Klarheit und Leichtigkeit. Wir können es so sehr genießen, weil wir wissen, wie hart ein Winter sein kann.

Lieber Frühling, ich möchte üben, dich zu nehmen wie du bist und daran zu glauben, dass alles einen Sinn hat und ich eines Tages verstehe, wofür die schweren Zeiten gut sind. So wie der Winter gut ist, um Kraft zu sammeln, Neues vorzubereiten. Auch wenn ich das meiste nicht sehe, weil es in der Erde und im Inneren der Pflanzen stattfindet.

Ich wünsche Ihnen und mir einen herrlichen Frühling und die Hoffnung, dass alles gut wird. Das wird es.

Anja Kolberg

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Erstellt durch: Anja Kolberg am Freitag, 22 März, 2013
Thema: Blog - 2013, 1. Halbjahr, Blog - Garten - Frühling
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