Warum schreibe ich?

Es ist mir ein tiefes Bedürfnis. Auf die Frage, was ich mit auf eine einsame Insel mitnehmen würde, würde ich antworten: Ein Tagebuch und einen Stift. Ich kann nicht ohne.

Weihnachten 1982 schenkte meine Patentante mir mein erstes Tagebuch. Rot, mit einem goldenen Schloß. Seit dem fülle ich Seiten der Kladden, Bücher, Hefte. Mit zwölf schrieb ich Berichte über meinen Tagesablauf, zählte jedes einzelne Weihnachtsgeschenk auf, sogar was ich am Fernsehen gesehen hatte. Es folgten ersten Schwärmereien für Jungs, die ich allesamt diesen schweigsamen Seiten anvertraute. Seit dem schreibe ich. Nicht täglich, manchmal monatelang nicht. Oft dann, wenn es mir nicht gut geht. Aus der Zeit, wo ich meinen Mann kennen lernte und mich verliebte und wir schon nach einem halben Jahr zusammen zogen, gibt es so gut wie keinen Tagebucheintrag. :o) Davon bleibt also nur die schöne Erinnerung und viele Fotographien ...

Der Blog ist für mich eine Zwischenwelt: Niemals so privat wie mein Tagebuch, aber auch nicht so verbindlich wie ein Buch. Ich schreibe über das, was mich bewegt, was mich stört, was mich glücklich macht. Manches spontan, manches trage ich schon einige Tage in mir. Nicht immer weiß ich, was ich schreiben soll. Mir fehlt auch mal die Lust oder die Zeit. Viele der Einträge sind mir leicht gefallen und wenn meine rechte Hand auf der Maus über den Schreibtisch fliegt, wenn ich meinem Blogmädchen Lilo Leben einhauche, geht es mir besonders gut. Das ist Freude, Lust und Freiheit.

Natürlich gibt es eine Zensur. Nämlich mich selbst. Ich bin mir bewusst, dass fremde Menschen diese Zeilen hier lesen, einige Menschen kenne ich auch - das alles fühlt sich jedoch warm und gut an. Ich schreibe hier längst nicht alles, was mir auf dem Herzen liegt. Ein Seufzer durchbricht meinen Atemrhythmus. Doch mir fällt auf: Ich öffne mich immer etwas mehr und zeige damit auch meine Verletzlichkeit.

Mir liegt es fern, mich hier als Coach zu zeigen, der gute Tipps wie Dünger in ein Blumenbeet streut. Mir ist es wichtig, über mich selbst zu schreiben. Zu zeigen, dass ich nicht die perfekte, coole Frau bin, die alles im Griff hat. Das bin ich nicht. Ich bin unperfekt. Mache Fehler. Habe Ängste, Schmerzen und trage Unverarbeitetes in mir. Diese Seite von mir möchte ich zeigen und nicht die rein professionelle, sichere, standfeste. Gut, die kann ich auch sein. Die Frau, die sich ein Ziel steckt und es erstaunlicherweise oder vielleicht sogar wegen großer Zweifel, Ängste und Rückschlägen erreicht. Ich bin beides. Vor allem aber Mensch.

Diese Webseite präsentierte ursprünglich ausschließlich meine Selbstständigkeit. Ich mag auf anderen Webseiten von den Menschen, die dahinter stehen, mehr erfahren und so folgte ich auch meinem Wunsch, mehr und mehr Seiten von mir zu zeigen, um ein Blick auf den ganzen Menschen zu bekommen und nicht nur die glänzenden zu sehen. Hier offen zu schreiben, dabei hilft mir wahrscheinlich, dass ich Pause von Coaching und Training mache. Denn wenn gleichzeitig Werbung für meine Leistung machen würde: Es würde mir schwerer fallen, offen zu schreiben. Weil ich mein Geschriebenes ständig kontrollieren und hinterfragen würde. Mehr als ich das jetzt mache, wo ich nicht aktiv bin. Vielleicht habe ich das abgelegt, bis ich wieder anfange mit Coaching und Training. :o) Das wünsche ich mir.

Die Herausforderung für mich, über meine "schwachen" Seiten zu schreiben oder auch darüber zu sprechen? Menschen, die Schwächen zeigen, werden schnell von anderen mit Tipps und Ratschlägen überhäuft. Puh, das mag ich gar nicht. Warum nicht? Ich brauche sie nicht. Ich komme zurecht, kann und möchte mir selbst helfen, auch wenn ich leide, auch wenn ich Schmerzen habe oder gerade eine Hürde zu überwinden habe, die mich schlaucht. Wenn ich weine, bin ich ganz klar und sicher in mir, nicht hoffnungslos, sondern stark und gerade mitten in einem wichtigen Prozess. Ich weiß: Die Lösung für meine Probleme liegt in mir selbst. Und ich habe die Kraft und das Potenzial sie zu lösen.

Mir fällt es sehr schwer, jemandem, der leidet, keine gut gemeinten Tipps zu geben, sondern nur da zu sein und zuzuhören. Anzuerkennen und wertzuschätzen, was ist. Nicht mehr und nicht weniger. Puh, da habe ich richtig mit mir zu kämpfen und muss mich sehr auf meine innere Stimme konzentrieren, die mir rät, bei mir selbst zu bleiben und den anderen in seiner Selbstverantwortung zu lassen. Die Geduld und die Gewissheit zu haben, dass der Gesprächspartner Hilfe einfordert, wenn er sie braucht. Genau so wie ich es selbst auch haben möchte. Und falls er keine Hilfe braucht, damit klar zu kommen: "Ich werde gar nicht gebraucht, der andere kommt alleine klar." Womit ich wieder mit mir selbst konfrontiert bin. Denn anderen zu helfen, gibt ein gutes Gefühl, ist eine wunderbare Ablenkung, es gibt Stärke und manchmal auch Macht ("Wer viel macht, hat Macht." ... und gerne die Kontrollle.).

Wenn ich den Leidenden mit meinen Tipps "erlöse", geht es mir besser. Dann muss ich nicht mehr (hilflos) damit klar kommen, den anderen leiden zu sehen. Wenn jedoch keiner da ist, auf den ich meine Aufmerksamkeit konzentrieren kann, der meine Hilfe braucht, weil alle mit sich selbst klar kommen, landet die Aufmerksamkeit automatisch bei mir selbst.

Da liegt nämlich wirklich die Aufgabe meines Lebens: Ein Stück Land, das im Laufe der Jahr in einen Garten verwandelt wird. Eine Landschaft, die mir gefällt, in der ich mich ausprobiere, mich versorge.

Ein Garten, der Pflege braucht und Liebe und Geduld und Zeit. Und manchmal auch eine Gärtnerin, die die Dinge einfach laufen lässt und den Blick löst vom Absuchen des Erdreiches, wo wieder ein Unkraut gewachsen ist oder wachsen könnte ...

Jetzt lasse ich ein paar Tage mal laufen und verschwinde aufs Land...

Anja Kolberg

Erstellt durch: Anja Kolberg am Mittwoch, 13 Mai, 2009
Thema: Blog, Blog - 2009, 1. Halbjahr, Blog - Schreiben
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