Das Gute an Streit und Leid

Ich habe die Erfahrung gemacht, dass es eine gute Seite an einem Streit gibt, zum Beispiel mit meinem Partner: Ich setze mich in der Zeit des Streits intensiv mit mir selbst und unserer Beziehung auseinander, schreibe viel Tagebuch, habe intensiven Austausch mit mir selbst wie sonst nie in 'guten' Zeiten. Mein Mann und ich sind, wenn das klärende, 'heilende' Gespräch zwischen uns stattgefunden hat, uns viel näher als Wochen und Monate zuvor. Wir haben uns ein wenig mehr kennen gelernt, das ist auch nach 18 Jahren Beziehung noch möglich und sind uns bestimmter Dinge bewusst geworden. Auch ich selbst habe mich noch mehr kennen gelernt. Das empfinde ich als eine schöne und wichtige Erfahrung und Entwicklung.

Auch im Leid, ich meine hier speziell das körperliche, liegt etwas sehr kostbares für mich, so ist meine persönliche Erfahrung: Die Erkenntnis, dass etwas in meinem Leben nicht stimmig ist und die Chance/der Impuls, mein Leben zu verändern. Die akute Situation ist für mich immer grausam, denn dann habe ich Schmerzen, ich kenne des Ausgang der Krankheit nicht, weiß nicht, wann es mir wieder besser geht, alles ist nur öd und grau und blöd und ungerecht...

Ist diese Phase jedoch vorbei, gewinne ich Hinweise auf meine Verhaltensweisen und auch Denkmuster, die nicht gesund sind und mit zu meiner Krankheit geführt haben. Das gibt mir die Chance, mich zu verändern. So ging es mir nach dem Brustkrebsverdacht, der mich im Sommer 2000 völlig unerwartet traf. Danach habe ich u.a. meine Teilzeitstelle gekündigt und mich in Therapie begeben, bei der deutlich wurde, dass ich mich viel zu wenig um mein Wohlbefinden gekümmert hatte. Ich begann daraufhin, meine Hobbies zu reaktivieren. Das Buch von Louise L. Hay über die psychosomatischen Gründe von Krankheiten war mir eine Hilfe. Ich hatte nach dem Verdacht alles auf den Kopf gestellt - und langfristig gewonnen: Mein Leben wurde reicher.

Ein Jahr später erwischte mich ein Bandscheibenvorfall, ich konnte mich noch gut bewegen, keine Gründe in der gut laufenden Selbstständigkeit auf die Bremse zu treten. Mein Körper schickte mir also noch einen Hinweis in Form eines Hexenschusses. Zusammen mit dem Bandscheibenvorfall war es mir kaum mehr möglich lange zu sitzen, geschweige denn zu gehen... Totalausfall. Gerade war mein Buch erschienen, Lesungen geplant... All diese Termine musste ich absagen, das war ein Schmerz für mich. Gefühlte Ungerechtigkeit pur... Ich konnte mich in dieser Zeit nur noch auf meinen Körper konzentrieren und in sehr kleinen Schritten vorgehen: Eine zeitlang Liegen, dann wieder etwas spazieren gehen, dann wieder sitzen... Von Tag zu Tag ging es Schrittchen für Schrittchen besser.

In dieser Zeit begann ich den Dialog mit meinem Körper, die Basis für meinen mir heute so wichtigen Austausch mit meiner inneren Stimme. Ich beschäftigte mich intensiver mit der Balance zwischen Arbeit und Leben, mietete ein externes Büro an, um mir die Trennung zwischen beiden Bereichen leichter zu machen. Vorher war ich so glücklich gewesen, in meiner Selbstständigkeit nach qualvollen Jahren als Angestellte endlich das zu tun, was mir wichtig war, dass ich sieben Tage in der Woche gearbeitet habe. Ein Ausgleich war kaum vorhanden. Durch die Signale meines Körpers kam ich diesem Missverhältnis auf die Spur. Es gab wieder arbeitsfreie Samstage und Sonntage. In der Woche nahm ich mir auch frei, im Coaching konzentrierte ich mich mehr auf die Arbeit mit der inneren Stimme, und in der beruflichen Veränderungsberatung legte ich den Focus auf die Wege abseits der glatten Karriereautobahn, hin zum Weg des Herzens.

All diese schmerzvollen Wegabschnitte waren rückblickend so wertvoll und wichtig für meinen Weg, für meine Arbeit als Coach, für mich als Frau und als Mensch. Unbestritten: All das zu sehen, war mir in der akuten Krisensituation nicht möglich, zu groß der Schmerz, die Unklarheit, die Wut... So ist das in solchen Momenten eben. Der kostbare Kern solcher Erfahrungen zeigt sich erst, wenn aus dem Samenkorn ein Pflänzlein gewachsen ist, das größer und größer wird und Blüten und eines Tages auch Früchte trägt.

 

Es tut mir gut, mir das immer mal wieder bewusst zu machen und mich daran in Krisenzeiten zu erinnern.

Anja Kolberg

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