Glücksinflation & Glück in Dosen.

Wofür benutzte ich das Wort Glück?

  • Wenn ich etwas gewinne: So wie die Gartenrenovierung, mit der ich überhaupt nicht gerechnet hatte. (März 2008)
  • Wenn ich gerade nochmal auf einer Autofahrt die Kurve statt den Graben bekomme: So wie bei einer Schneefahrt mit meiner Schwester als Beifahrein auf dem Weg zur Lehrstelle durch die kurvige bergische Landschaft. Es hatte frisch geschneit, die Fahrbahn war sehr rutschig und der Fiesta kam in einer Kurve trotz langsamen Vorwärtstasten ins Rutschen. Einige Zeit zuvor hatte mir einer der Mechaniker aus der Werkstatt, der mich morgens mit zur Arbeit genommen hatte, erzählt, wenn der Wagen ausbricht, muss ich gegenlenken. Keine Ahnung, warum er ausgerechnet mir das erzählte. Er war schließlich der Rennfahrer, der morgens seine Bestzeit toppen wollte, während ich mich krampfhaft festhielt. Dann kam der erste Schnee, eine rutschige Straße, ein ausbrechender Wagen und die Erkenntnis, warum ich diese Information erhalten hatte. Während wir beide kreischten, lenkte ich geistesgegenwärtig gegen, der Wagen fing sich vor dem Graben und wich nach dem zweiten Gegenlenken auch dem Seitenpfosten aus und fuhr dann schön den Berg weiter hoch. Auf der Straße. Yeah! Das nenne ich Glück und so fühlte es sich auch an, als sich meine Schwester und ich daraufhin vor Erleichterung kaputt lachten.
  • Wenn etwas Angst machendes gut ausgeht: Unsere Hündin Minu entwickelte einen hartnäckigen Knubbel an der Seite, an der Stelle wo sie den Inhalt einer Spritze nicht vertragen hatte. Der Knubbel ging einfach nicht weg. Die Ärztin empfahl, das Gewebe untersuchen zu lassen und wir hatten große Angst, dass darin schreckliches steckte. Ich stellte mir im Auto wartend auf das Ergebnis vor, dass wir erleichtert die Praxis verlassen, weil alles in Ordnung ist. Und so war es auch. Alles ok. Was für ein Glücksgefühl!
  • Wenn Gesundheit statt Krankheit diagnostiziert wird: "Ist das Leben schön!", das sagte ich dem Arzt nach meiner OP im Jahr 2000, bei der ein Brustkrebsverdacht ausgeschlossen werden sollte. Er hatte einen Schnellschnitt gemacht und mir die Diagnose 'alles ok' nach meinem Aufwachen mitgeteilt. Das war nach all den ängstlichen Wochen ein so schönes Gefühl!

Jedes Mal war etwas besonderes passiert. Unerwartet. Mit gutem Ausgang. Das ist Glück für mich.

Doch in den vergangenen Jahren habe ich das Gefühl, es kommt zu einer 'Glücksinflation'. Alle jagen dem Glück hinterher. Wollen es haben und behalten. Möglichst oft erleben. Auch ich. Könnte man es in Dosen kaufen, der Erfinder hätte ausgesorgt und könnte sich einen Platz weit vor Bill Gates auf der Liste der reichsten Erdenbürger sichern. Glück in Dosen.

Ich vermute, es geht dabei jedoch gar nicht mehr um dieses ganz besondere und seltene Erlebnis, sondern der Sehnsucht nach einem Dauergefühl der Zufriedenheit.

Wenn ich Glück habe, löst das einen Energieschub aus, ein Hochgefühl. So gut, dass ich mehr davon will. Aber wenn das Glücksgefühl zum Dauerbrenner wird, wo ist dann noch sein Reiz?

Macht Reichtum glücklich? Ich vermute nein, wenn ich mir die Geschichte des englischen Ehepaares anschaue, die den höchsten Gewinn auf der Insel einsteckten, auf der Reichstenrangliste Englands noch vor Eric Clapton sind, sich aber jetzt scheiden lassen. Vor dem Gewinn führten sie ein einfaches Leben und waren zufrieden. Nach dem Glücksgewinn sah das anders aus. Ein Trugschluss zu glauben: Wer reich ist, ist glücklich. Jeder hat seine Lebenspäckchen zu tragen.

Macht Gesundheit glücklich? Gesundheit ist kostbar. Doch so richtig zu schätzen weiß ich sie erst, wenn ich eine zeitlang krank war und wenn dann endlich wieder Gesundheit eintritt.

Macht Erfolg glücklich? Kurzfristig schon. Doch nach jedem Hoch kommt auch ein Tief. Wellenbewegungen des Lebens. Ich las von einer Sängerin, die von dem Druck erzählte, nach einem erfolgreichen Album das nächste rausbringen zu müssen. Bekannt ist auch der Druck, dem Autoren ausgesetzt sind, wenn ihr erstes Buch ein Bestseller war. Denn was stellt das für Erwartungen an das nächste Werk auf?

Glück ist ein seltenes und kurzes Gefühl. So wie auf einer riesengroßen Wiese unter Millionen Kleepflanzen ein Vierblättriges zu finden. Das ist etwas besonderes. Ein besonderes Gefühl. Wie lange hält ein Glücksgefühl tatsächlich an? Einige Sekunden? Minuten? Einen Tag?

Das Glücksgefühl, einen Partner gefunden zu haben, der stimmig ist. Das Glücksgefühl am Tag der Hochzeit. Das Glücksgefühl, eine Arbeitsstelle bekommen zu haben. Einen Auftrag. Ein Projekt beendet zu haben. Tolle Umsätze. All das ist flüchtig und weicht dem Alltag und seinen Herausforderungen. Zum Beispiel das Hoffen auf den nächsten Auftrag. Die Frage nach dem nächsten Buch. Der erste Streit. Die nächste Erkältung oder was auch immer.

Glück ist ein flüchtiges Gefühl. Und wenn es da ist, spielt sich in meinem Gefühlszentrum eine Orgie ab. Das Gefühl macht süchtig. Ich will es am liebsten immer wieder fühlen oder zumindest den Kick dann bekommen, wenn es gerade mal so grau ist wie heute früh hier am Kölner Himmel.

Wenn ich es verständlicherweise immer wieder haben will, immer wieder fühlen will, dann mache ich mich auch abhängig von diesem Gefühl. Ist mein Leben nur richtig gut, wenn ich glücklich bin? Ich will mich nicht vom Glücksgefühl abhängig machen und ihm auch nicht hinterherjagen, dem Glück, das im Außen passiert. Ich will das Glücksgefühl in mir selbst entstehen lassen. In dem ich mich unabhängig mache von dem Glück, das von außen auf mich zukommt und auf das ich keinen Einfluss habe.

Wie?

In dem ich eine Lampe anknipse, die die Dunkelheit des Kölner Himmels vertreibt. In dem ich mich warm einpacke und mit dem Hund an die frische Luft gehe und die Schönheit des Novembers draußen suchen gehe. In dem ich meinem Partner etwas nettes sage, einfach so, statt mich über die wieder nicht aufgehängte Klopapierrolle aufzuregen. In dem ich dankbar auf all das schaue, was ich schon geleistet und erreicht habe, auch die kleinen Dinge - statt auf das nächste Ziel zu schauen oder auf andere zu schielen, die scheinbar glücklicher sind als ich.

Mache ich mir all die Selbstverständlichkeiten in meinem Leben bewusst, die beständig da sind, dann spüre ich ein gutes Gefühl. Und das kann ich mir - unabhängig von äußerem Glück - immer wieder ins Gedächtnis rufen, wenn ich eine Portion gutes Gefühl brauche.

Ich möchte üben, mir mein Leben so schön wie möglich zu machen, unabhängig davon, ob ich gerade einen Erfolg oder einen Durchhänger habe, ein Hoch in der Partnerschaft oder eine Krise, ob ich gesund bin oder krank, ob ich viel Geld habe oder wenig. Für das, was wirklich wichtig ist, habe ich alles was ich brauche. Es ist in mir und in meinem Leben. Ich muss nur genau hinschauen.

In diesem Sinne gehe ich jetzt mal meine Glücksgefühls-Welt retten: Ich mache einen Spaziergang mit dem Hund. Kaufe mir zwei knackige Brötchen. Halte vielleicht einen kurzen Plausch mit Petra am Blumenladen. Drehe die Heizung auf. Koche Kaffee. Beschmiere mir die Brötchenhälften mit dem köstlichen veganen Spekulatius-Aufstrich von Rewe. Und freue mich, dass ich das machen kann.

Ein schönes Novemberwochenende wünscht

Anja Kolberg

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Erstellt durch: Anja Kolberg am Freitag, 22 November, 2013
Thema: Blog - 2013, 2. Halbjahr, Blog - Kleines Glück im Alltag
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