Jammern dürfen

Es gibt so Tage, da geht alles schief. So Tage, an dem Träume platzen. Der Leidensdruck wirklich nicht mehr zu ertragen ist. Das Fass überläuft. Und man einfach traurig ist. Leidet.

So Phasen im Leben kennt wohl jede/r. Was in so einem Moment hilft? Ein Mensch, der zuhört, mitfühlt, da ist. Der keine schlauen Kommentare kennt oder Tipps hat.

Denn wer jammert, der will keine Lösung. Sondern leiden, traurig sein dürfen.

Das ist für das Umfeld nicht leicht auszuhalten. Denn wer will schon, dass es dem Freund oder der Freundin schlecht geht? Da wird das kleine Helferlein in uns wach. Doch das kann seine Kraft nur dann entfalten, wenn der Leidende dafür offen ist.

Die Kraft des freien Willens verhindert, dass das ungewollte Helferlein im Jammernden seine Kraft entfaltet. Es wirkt bei dem Jammernden nicht.

Woran wir das erkennen? "Ja, ABER..." "NEIN, das geht nicht weil..." "Das habe ich doch schon versucht..."

Achtung, wenn Sie solche Antworten hören, können Sie aufatmen. Das Helferlein in uns hat Pause. Gefragt ist dann die Kraft der Zuhörenden in uns. Oh, und das ist keine leichte Aufgabe. Sich mit Vorschlägen in Zaum halten. Puh! Und dennoch ist es das, was dem Leidenden hilft.

Aus der lösungsorientierten Beratung hat Prof. Lilo Schmitz der FH Düsseldorf dazu eine Strategie entwickelt:

  • Mitfühlen. Energie herunter fahren. Sich gedanklich in die Lage versetzen.
  • Ist diese Phase abgeebbt, frage: "Was willst du jetzt machen?"
  • Eventuell: "Kann ich etwas für dich tun?"

Meist reicht das Zuhören ohne Tipps, Ratschläge und Lösungen, damit man als Jammernde zur Ruhe kommt. Man fühlt sich ernst genommen, verstanden, angenommen. Mehr braucht es nicht.

Ich will keine Tipps haben, wenn es mir mal schlecht geht. Die Lösung habe ich doch selbst!

Und alle Ideen, die der andere mir geben will, habe ich auch schon gehabt. Aber das brauche ich in so einem Moment nicht. Was ich brauche ist Anerkennung, traurig sein dürfen, mal schlecht drauf sein dürfen. Und ein Gegenüber finden, das mir zuhört, wenn ich all das erzähle, was mich bedrückt.

Wohlwissend: Es geht vorüber. Nach der Nacht folgt der Tag. Und wenn man sich erlaubt (!) hat, auch mal schlecht drauf sein zu dürfen, sich zu verkriechen, sich selbst zu bemitleiden, vielleicht sogar jemanden findet, der einem "nur" zuhört, dann scheint am nächsten Tag auch wieder die Sonne!

Für mich ist es immer wieder eine große Herausforderung, zu begreifen, dass der Jammernde keine Lösung haben möchte. Aber je mehr ich hinhöre, desto sensibler werde ich und erkenne immer früher, was wirklich gebraucht ist. (Auch nach Jahren immer noch wieder ein Muskel, der Training braucht.)

Wenn man mal jammern will (das selbst zu erkennen, ist ja auch schon was. Das Hauptanzeichen: Ich will keine Lösung!) hilft man seinem Gegenüber übrigens sehr, wenn man sagt: "Mir geht es nicht gut. Ich brauche jemanden, der zuhört und mir keine Tipps gibt. Könntest du das in der nächsten halben Stunde tun?"

Auf der anderen Seite ist es auch wichtig, sich als Zuhörende zu schützen. Denn ein vorübergehendes Jammern ist o.k., aber ein zuviel Jammern verdirbt die Stimmung auf Dauer. Da ist es dann gut, HALT zu sagen, die Zeit einzugrenzen und sich dann um sein eigenes Seelenheil zu kümmern.

Jammern kann so gut tun!

Und ein Mensch, der zuhört, ist wirklich ein Geschenk!

Anja Kolberg

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Erstellt durch: Anja Kolberg am Donnerstag, 09 November, 2006
Thema: Blog - 2006, 2. Halbjahr, Blog - Dunkle Tage
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