Teil 7: Es tut sich was. Hoffnung. War das denn immer schon so? Hochsensiblität.

Als wir von der Besichtigung der Hausalternativen zurück kamen, entdeckten wir einen weiteren Gesellen auf der Baustelle. Auf einmal ging es vorwärts. Sie hatten schon auf der zweiten Dachfläche mit dem Abriss der Bedachung begonnen. Toll!

Hatte der Anruf vielleicht doch etwas bewirkt und der Chef einen weiteren Mitarbeiter zur Baustelle geschickt? Vielleicht würden sie doch eher als in drei Wochen fertig und wir hätten noch eine Woche wirklichen Urlaub? Hoffnung keimte auf.

Ich konnte im Haus nicht nachdenken, deswegen schnappte ich mir meine Walkingstöcke und ging los. Als Ziel hatte ich mir eine Gegend etwas weiter entfernt ausgesucht, wo in einer Heidelandschaft noch ein freies Haus für uns stand. Auf dem Weg dorthin hörte ich Bagger arbeiten. Hm, also war auch dort keine wirkliche Ruhe. Auf der schmalen Straße rumpelte ein großer mit Dreck beladener Lkw an mir vorbei.

Mir wurde schmerzhaft klar: Es gibt keine Garantie, in einem anderen Haus in unserem Urlaub Ruhe zu haben.

Wie war das vorher in Dänemark Urlauben gewesen? Hatten wir denn vorher nie Baustellen in der Nähe gehabt?

2005 im Bjerregard - einem großen Ferienhausgebiet im Süden Dänemarks in der Nähe des Ringkoeping Fjord - wurde etwa zwei Häuser entfernt ein neues Haus gebaut. Es hatte mir damals nichts ausgemacht, zumindest erinnere ich mich nicht daran. Gut, es lag auch nicht in Blicklinie und war weiter entfernt von uns als dieses Jahr war.

Aber worin lag der große Unterschied zu heute?

Der Unterschied waren die Belastungen, die ich von 2011 bis 2015 durch die Sanierungen der direkten Nachbarhäuser zu Hause erfahren hatte. Durch die damit einhergehenden Beeinträchtigungen (Krach, Schmutz, Erschütterungen, Sorge um Beschädigungen...) war ich ausgebrannt und müde, da ich kaum Ruhe und Regeneration gefunden hatte. (Seit dem mir das passiert ist, kann ich andere so gut verstehen, die über ähnliche Erfahrungen sprechen.)

Mein Stresssystem läuft bei lauten Geräuschen, den ich unangenehm finde, auf Hochtouren. Entspannung unmöglich.

Verstärkend wirkt meine Hochsensibilität. Das bedeutet unter anderem, dass ich Stressauslöser aber auch schöne Dinge intensiver wahrnehme. (Über meine Hochsensiblilität habe ich hier ausführlicher berichtet.)

Ich übe, mich nicht mit anderen zu vergleichen oder dafür zu verurteilen, dass ich so empfindsam bin. Zum Beispiel statt "Sei doch wie dein Mann, der macht sich nichts draus." mir zu sagen: "Ich bin wie ich bin in Ordnung. Jeder ist anders. Jeder hat woanders seine Stärken und seine Schwächen. Das ist ok so." oder statt: "Warum bist du so empfindlich. Stell dich nicht so an." mir zu sagen: "Ich darf empfindsam sein. Es ist völlig in Ordnung, dass mir die Situation zu schaffen macht." Zwei Möglichkeiten von unzähligen.

Komisch. Mir viel auf, dass sich diese Stressauslöser in den beiden letzten Urlauben leise an mich heran geschlichen hatten, als solle ich lernen, damit wieder besser umzugehen.

Vor zwei Jahren (Bericht hier) zum Ende der zweiten Bauphase in unserer Kölner Nachbarschaft war ich völlig ausgelaugt und mit den Nerven am Ende. Der Nachbarin auf der anderen Seite ging es ähnlich. Im Urlaub hielt ich die Luft an, ob wirklich wie mir von der Vermietungsagentur versichert wurde, keine Bauarbieten im Ferienhausgebiet seien. Danach hatte ich zuvor nie gefragt.

Zum Glück waren dort nur Urlauber, keine werkelnden Arbeiter oder Eigentümer. Sonntags kam nur ein Däne zu seinem Haus und renovierte das Dach. Da das aber relativ weit weg war, ich es hören, aber nicht gleichzeitig sehen konnte, gelang es mir, dies auszublenden und mich immer wieder auf mich konzentrieren. Eine gute Übung!

Letztes Jahr, 2016 wurde es etwas intensiver. In der 70er Jahre Ferienhaussiedlung am Meer renovierten alle Besitzer mehr oder weniger ihre Häuschen. Da hörte ich mal kurz ein Schleifen, dann wurde gestrichen, was ja nicht zu hören ist. Das zu sehen macht mir nicht so viel aus, wie es zu hören. (Es gibt Streßpunkte bezogen auf unsere Sinneskanäle, wo man besonders empfindlich ist. Bei mir sind es Geräusche, bei anderen was sie sehen oder riechen...).

Diese Arbeiten dauerten ein paar Stunden und es war vorbei. Auch die riesigen Bagger am Strand, die große Steine bewegten oder die Sägearbeiten an einem oben gelegenen neuen Ferienhaus konnte ich ausblenden. Es war erträglich, wenn auch nicht schön.

Dann stoppte von jetzt auf gleich meine Erholung: Ich genoss Samstag in der zweiten Woche die über dem Meer untergehende Sonne auf unserer kleinen Terrasse im blauen Holzhäuschen wie wohl die meisten in dieser abgeschiedenen Siedlung. Ein Traum!

Plötzlich polterte ein voll beladener VW-Bus den Kiesweg herunter, fuhr knapp an unserer Terrasse vorbei und bremste neben dem grünen Haus neben uns. Es stiegen zwei Erwachsene, drei kreischende Kinder und ein bellender Hund aus. Die Lautstärke änderte sich schlagartig von Naturgeräuschen zu High Live.

Der Mann begann mit einem Hochdruckreiniger das Haus von außen zu reinigen. Dahin war die Abendstimmung. Ich wollte wegen der immer mehr werdenden Mücken sowieso reingehen. Bis in die späte Nacht hörten wir ihn durch die dünnen Holzwände arbeiten. Am nächsten Tag ging es gleich in der früh weiter: Der Rasen wurde gemäht, das Haus gestrichen.

Wie sollte ich das aushalten? Die ersten vierzehn Tage lang hatte ich es so genossen, auf der Terrasse zu frühstücken, zu lesen und aufs Meer zu schauen. Diese Erholung hat mir so geholfen und gut getan. Und nun? (2017 dachte ich darüber: Welch ein Luxus - 14 Tage Ruhe!)

Es widerstrebte mir, mich von dem Krach nach drinnen ins Haus vertreiben zu lassen. Auf keinen Fall wollte ich meinen Glücksplatz an der frischen Luft mit Blick aufs Meer hergeben.

Ich zog mir Kopfhörer an - womit ich mich normalerweise gar nicht konzentrieren kann, doch mit einer noch nie gehörten Musik (einer Mischung aus Entspannung und Techno würde ich es beschreiben) funktionierte es wunderbar - und schrieb mir stundenlang meinen ganzen Frust über diese Situation von der Seele. Schaute nach innen, fand einen verletzten Anteil und arbeitete mit ihm, schenkte ihm Aufmerksamkeit.

Gleichzeitig war mir durch das Gesetz der Anziehung klar, dass es gut war, mir gute Gedanken wegen der Baustelle zu machen und keine negativen. So schwer das ausgerechnet in einer solchen Situation auch ist.

Am Nachmittag war ich müde geschrieben und wir drei machten einen Ausflug zum Leuchtturm. Ich wünschte mir, die Nachbarn wären dann weg, alles nur eine Fata Morgana gewesen. Die Kinder waren im Schulalter, sie mussten ja auch zur Schule.

Als wir zurück waren, sahen wir keinen Bus mehr vor dem umgestrichenen Haus neben uns. Stille. So laut wie die Wikinger über uns hergefallen waren, so leise waren sie gegangen. Ich war so unendlich erleichtert und dankbar. Mein Urlaubsglück war wieder hergestellt!

Diese Erfahrungen in den beiden vergangenen Urlauben waren Kleinigkeiten im Vergleich zu dem, was uns in diesem Jahr wiederfuhr und Winzigkeiten im Gegensatz zu dem, was die mehrjährigen Bauarbeiten der Nachbarn in Köln an Spuren bei mir hinterlassen hatten.

Irgendwie habe ich das Gefühl, ich wäre - wie von oben geleitet - von Jahr zu Jahr wieder mit etwas mehr Lärm beschallt worden, um zu üben, wieder mit solchen Belastungen umzugehen. Dieses Jahr war wirklich die Meisterarbeit. :-)

Aber es gibt auch Situationen, die sind unangenehmer als die Baustelle wie Sie bald lesen werden...

Hier geht es weiter mit Teil 8: Die Chancen im Unglück entdecken – Entscheidung

* * * Bisher erschienen:

Dänemark - eine besondere Urlaubsreise - erzählt in 24 Episoden

Teil 1: Angekommen am Meer - Das Ferienhaus

Teil 2: Das erste mal am Strand - wo ist der Ausgang?

Teil 3: Schöner Bummel-Sonntag in Loekken

Teil 4: Die erste Prüfung beginnt

Teil 5: Pech und Glück liegen nah beieinander. Wilde Blüten und Strandbuggyspaß

Teil 6: Aktiv werden. Wie kann ich mir beistehen? 

Bis morgen,

Ihre Anja Kolberg

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Erstellt durch: Anja Kolberg am Donnerstag, 07 Dezember, 2017
Thema: Blog - 2017, 2. Halbjahr, Blog - Dänemark, Blog - Dunkle Tage
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