Was du nicht willst, dass man...

Noch eines liegt mir auf der Seele:

Fünfzig Menschen arbeiteten gestern, am 15.3.2011 laut der japanischen Regierung noch im Atomkraftwerk, alle anderen seien wegen gesundheitsschädlicher Strahlenbelastung abgezogen worden.

In einem ZDF oder ARD Fernsehbericht erfuhr ich, dass alle 600 Hubschrauberpiloten, die 1986 über Tschernobyl Beton auf das beschädigte Kraftwerk abgeworfen hatten, kurz nach ihren Einsätzen wegen der hohen Strahlenbelastung starben. Soldaten waren zwangsbeordert worden, vor Ort Aufräumarbeiten zu erledigen, die sogannten 'Liquidatoren'. Die jungen Männer hatten keine Wahl, sie mussten, viele von ihnen starben nach ihrem Einsatz.

So viel anders scheint die Situation in Japan nicht: Dort setzen japanische Techniker ihre Gesundheit, ihr Leben ein. Laut japanischer Regierung wären sie alle freiwillig dort.

Wenn diese Aussage wahr ist, dann fällt mir zur Motivation der fünfzig Verbliebenen am beschädigten Atomkraftwerk ein: Diese Menschen übernehmen Verantwortung. Verantwortung für ihre Familien, ihre Freunde, ihre Natur, ihre Landsleute, für ihr Land. Sie wollen tun, was zu tun und möglich ist, um noch mehr zu verhindern. Sie laufen nicht weg und haben meine Hochachtung.

Ich vermute, dass unter ihnen kein einziger aus den Führungsetagen des Betreiberkonzerns ist oder einer der anderen, die damit ihr Geld gemacht haben. Ich kann mir gut vorstellen, dass die sich nämlich und ihre Familie längst weit weg vom Reaktor in Sicherheit gebracht haben.

Diese Situation macht mich unglaublich wütend und ich glaube, sie ist auch auf Deutschland und andere Länder übertragbar: Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Politiker, die für weitere Atomkraftwerke und Laufzeitverlängerung ihre Stimme geben oder Vorstandsvorsitzende der betreibenden Energiekonzerne oder Manager der finanzierenden Banken in der unmittelbaren Nähe zu einem Atomkraftwerk wohnen UND dort vor Ort bleiben und anpacken, wenn es zu einem Strahlenaustritt kommen sollte. Sie alle werden ihre Familien und sich selbst in Sicherheit bringen. Wer ist es dann, der vor Ort bleibt und rettet, was zu retten ist? Wer muss damit leben, weil er dort sein Haus gebaut, seine Arbeit hat und nicht die finanziellen Möglichkeiten, alles aufzugeben?

In der ARD wurde gestern in einem Beitrag ein Strahlenmesser in Tschernobyl gezeigt, der die Arbeit dort mache, obwohl er sich um die gesundheitlichen Folgen sorge, aber er würde gut das Doppelte verdienen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass einer der Politker sich täglich dieser Strahlenbelastung aussetzen würde. Die kleinen Leute kann man mit Geld und den Versprechen auf ein vermeintlich besseres Leben locken. Die Oberschicht mit Sicherheit nicht.

Meine Gedanken sind immer wieder bei der japanischen Bevölkerung, die in den letzten Tagen so viel Leid ertragen mussten und durch den Atomunfall auch künftig noch erleben werden. Die Spätfolgen der Bevölkerung Tschernobyls zeigen das.

Ein Erdbeben der Richterskala 9.0 überstehen, das Haus mit all dem, was mir lieb ist, verlassen müssen, einen Tsunami überleben, Hab und Gut verlieren, mit der Ungewissheit leben zu müssen, wo geliebte Menschen sind und ob sie noch leben und dann noch die düstere Aussicht, dass vielleicht die Heimat nicht mehr bewohnbar ist, weil sie strahlenverseucht ist - dieses Leid übersteigt meine Vorstellungskräfte. Für viele Japaner ist es die Realität.

Seit gestern sehe ich immer wieder dieses Bild vor meinen Augen: Hände umhüllen schützend die japanische Flagge, stellvertretend für all die Menschen, die diese Situation durchleben müssen.

Ich fühle mit den betroffenen Menschen, soweit ich es überhaupt kann. Ich wünsche ihnen von ganzem Herzen, dass sich ihre Hoffnungen erfüllen, sie Vermisste wiederfinden, ein Stück Alltag und Normalität zurück erlangen und sie und ihre Heimat und Natur Heilung, Schutz und Gnade erfahren.

Mein Appell an alle Politiker, Entscheider, Vorstände, Investoren: Stimmen Sie nur für die Dinge, dessen Folgen sie auch selbst - ganz persönlich - tragen und aushalten würden. Ich appeliere an Ihr Herz: Würden Sie wollen, dass Menschen, die Sie lieben bei einem Störfall in einem Atomkraftwerk arbeiten? Wollten Sie selbst nach einem Störfall in einer verseuchten Gegend leben? Wollen Sie das Ihren Kindern und Enkelkindern zumuten? Entscheiden Sie nicht, was Sie letzten Endes nicht ganz persönlich vor Ort ausbaden würden. Das gleiche gilt meiner Meinung nach übrigens auch für die Soldaten, die in den Krieg geschickt werden. Würden Sie selbst ganz persönlich mit an die Front gehen und ihre Entscheidung mit dem Leben oder Ihrer Gesundheit bezahlen? Entscheiden Sie nicht über das Leben und die seelische und körperliche Gesundheit anderer Menschen! Würden Sie Ihr Kind in den Krieg schicken? Ich bin mir sicher, Sie würden es schützen wollen, vor gesundheitlicher Gefahr.

Übernehmen Sie PERSÖNLICH Verantwortung. Für die Familien, deren Väter und Mütter in den beschädigten Atomkraftwerken ihren Dienst tun, obwohl sie bei einem Störfall einer Strahlenbelastung ausgesetzt sind. Für die Soldaten, für die Feuerwehr, das THW und die anderen Hilfsdienste, die bei einem Störfall Menschen retten und sich damit selbst einer Gesundheitsschädigung aussetzen.

Fragen Sie sich: Wäre ich selbst unter den Helfern und würde mich dieser Gefahr aussetzen?

Wenn Sie diese Frage - ehrlich - mit "Nein" beantworten (und nicht "Ja sicher" medienwirksam schreien, sich aber im Ernstfall mit einem Erste-Klasse-Ticket aus dem Staub machen), dann stimmen Sie nicht für Dinge, die die Natur und die Menschen derart schädigen wie beispielsweise die Kernenergie es macht.

Setzten Sie sich dafür ein, dass die erstklassigen Ingenieure, Techniker und Erfinder dieser Welt zusammen neue nachhaltige, erneuerbare und verantwortungsvolle Techniken der Energiegewinnung entwickeln.

Sagen Sie NEIN! zu Profit und JA! zu wirklicher Verantwortung für die Menschen und unsere Erde.

Ich weiß, jeder Bürger kann selbst aus der Kernenergie aussteigen, kann Verantwortung dafür übernehmen, dass die eigene Bank sich nicht an Atomgeschäften beteiligt. Jeder kann Energie sparen und sich fragen, ob das eigene Konsumverhalten wirklich nötig ist. Doch unabhängig von dem Handeln jedes Einzelnen sind Sie meiner Meinung nach für die gegebenen Rahmenbedingungen verantwortlich. Viele haben gar nicht die Möglichkeit, die Bank oder den Energieanbieter zu wechseln oder sind damit überfordert. Schaffen Sie Rahmenbedingungen, die unsere Erde auch in fünfzig und tausend Jahren noch lebenswert machen.

Geld und Profit kann man nicht essen, nicht atmen, nicht trinken. Es gibt Kostbares, das zerstörbar ist. Für immer.

Ich will kein Fukushima in Deutschland. Ich will dieses Szenario nirgendwo auf der Welt!!! Die Atomkraftwerke sollen abgestellt werden. Alle. Überall. So schnell wie möglich und nicht erst in Jahren. Ja, das bedeutet starke Konsequenzen für uns alle, die ich mir jetzt gar nicht vorstellen kann. Ich bin bereit, mir über diese Konsequenzen Gedanken zu machen und sie zu tragen. Ich bin nicht bereit, die Konsequenzen eines weiteren Atomunfalls irgendwo auf der Welt zu tragen!

Anja Kolberg

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Erstellt durch: Anja Kolberg am Mittwoch, 16 März, 2011
Thema: Blog - 2011, 1. Halbjahr, Blog - Gedanken über ....
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