Buchtipp: Die Nachtigall. Roman.

Mehr als ein Jahr lag das Buch auf dem Schrank und wartete auf mich. 609 Seiten. Sehr ansprechender Einband. An einem der heißesten Tage 2020 habe ich es wie im Rausch zu Ende gelesen.

Wenn du dich für Frauenschicksale im 2. Weltkrieg interessierst, wie sie gelebt, überlebt haben - und zwar nicht in Deutschland, sondern im von Deutschen besetzten Frankreich - dann lies "Die Nachtigall" von Kristin Hannah:

Unsere Geschichte aus einem anderen Blickwinkel betrachten. Was haben unsere Soldaten getan? Welche Not hatten die Französinnen auszustehen, deren Männer im Krieg waren, in einem Frankreich, das sich schnell ergeben hatte? Blieb das wirklich ohne Widerstand? Wie fühlte es sich an, wenn all das gute Essen an die Besatzer ging und für die Bevölkerung kaum etwas übrig blieb? Waren alle Soldaten ohne Herz? Was machst du, wenn Nachbarn, nur weil sie Juden sind, verhaftet werden? Wenn du nicht weißt, wohin mit deiner Wut? Wenn du dein Kind beschützen und ernähren willst und selbst ohnmächtig vor Hunger, Angst und Kälte bist?

Ein großartig geschriebener Roman nach den wahren Schicksalen von Frauen beschrieben - stille Heldinnen.

Eine Geschichte für das Überleben und die innere Kraft, das Richtige zu tun. Ein schonungsloser Blick in die grausame Fratze des Krieges und was er mit uns Menschen macht. Aber auch über die Liebe, Zusammenhalt und großen Mut der Frauen, die im Stillen Widerstand leisteten.

Als ich den Buchdeckel zugeklappt hatte und meine Tränen getrocknet waren, fühlte ich vor allem Dingen Dankbarkeit für diese Empfehlung, die mir eine Buchhändlerin gab, als ich nach Romanen fragte, die Schicksale von Menschen aus dem 2. Weltkrieg beschreiben.

Die Nachtigall

Ich hätte mir einen dicken Zusatzteil gewünscht, in dem die Autorin mehr über ihre Recherchearbeit spricht, darüber wie es genau zu diesem Werk kam, wie sie es schaffte, all die Informationen in diese Leben zu integrieren. Für mich ein bewegendes Meisterwerk! 71 besonders herausragende Stellen habe ich mit Zetteln versehen. Ich würde gerne mit Zeitzeugen sprechen, mehr erfahren:

Wie fühlten sich die Deutschen Soldaten, die diese Befehle willig oder auch widerwillig ausführten? Welche Spuren hinterließ ihr Wirken in ihrer Biographie, in ihren Ehen, bei ihren Kindern und Enkelkindern? Welche Spuren hat dies in unserer Gesellschaft hinterlassen? Schweigen? Gewalt? Reue? Buße? Vielleicht von jedem etwas und noch mehr. Bezogen auf die Auseinandersetzung mit dem Thema Kriegskinder, Nachkriegskinder und Kriegsenkel oder generationsübergreifende Weitergabe von Traumata ist dieses Buch eine sehr unterhaltsame, erschreckende, nachdenklich machende Hilfe.

Schade, dass ich nicht so gut Englisch kann. Ich würde mit der Autorin Kristin Hannah gerne ein sehr langes Gespräch über ihre Arbeit an diesem Buch führen und was es mit ihr gemacht hat. Wer einmal so ein Werk geschaffen hat: Ist das noch zu toppen?

Ah genau - die Handlung:

Zwei Schwestern (14 und 4 Jahre alt) werden nach dem Tod ihrer Mutter von ihrem vom 1. Weltkrieg gezeichneten Vater zu einer Verwandten aufs Land abgeschoben. Sie leiden unter dem Verlust ihrer Eltern und versuchen Fuß zu fassen. Vivianne findet schnell einen Freund, heiratet und die jüngere Isabelle fühlt sich vor allem verstoßen, von niemandem geliebt, auch von der Schwester nicht. Sie landet in Internaten, woraus sie türmt oder rausgeworfen wird. Sie flüchet zu ihrem Vater nach Paris, der sie nur mit Kälte begrüßt. Sie ist wild und stark und wünscht sich nur eines: Geliebt werden und ein Zuhause haben.

So kommt es zu völlig unterschiedlichen Lebensläufen: Als die Deutschen Frankreich besetzen, muss Vivianne mit ihrer Tochter irgendwie überleben und darauf hoffen, dass ihr Mann lebend zurück aus dem Krieg kommt. Isabelle kann nicht fassen, dass sich alle wehrlos ergeben und schließt sich dem Widerstand gegen die Nationalsozialisten an. Beide werden immer wieder vor neue Gewissensfragen gestellt: Was ist das Richtige?

Auch wenn ich am Anfang ein kleines bisschen brauchte, um reinzufinden, so lies mich die Geschichte danach nicht mehr los. Teilweise war es so berührend, dass ich das Buch einige Tage weglegen musste, um die Grausamkeit der Wahrheit zu verdauen.

Wenn die Ereignisse real sind, die im Buch beschrieben sind, dann verstehe ich, warum ein Pariser Schaffner so unfreundlich und abweisend zu uns war, als wir versuchten uns Fahrkarten mit unseren minimalen Sprachkenntnissen zu besorgen. Der Krieg hinterlässt Spuren über Jahrzehnte. Eigentlich ein Wunder, dass Vergessen und Verzeihen möglich ist.

Titel: Die Nachtigall
Autorin: Kristin Hannah

Wer mehr über die Thematik lesen will, diese Daten konnte ich recherchieren:

Warum interessiere ich mich für Geschichten aus dieser Zeit?

Mir ist wichtig, mich zu verstehen, meine Familie, die Gesellschaft: Warum handeln wie sie handeln? Warum sind wir wie wir sind? Was hat uns dazu gemacht? Alles hat einen Ursprung, eine Geschichte. Denn eines weiß ich bestimmt: Wir kommen als liebende, unschuldige Wesen auf die Welt - und dann werden wir geprägt. Welche Prägungen waren das? Wie kann ich sie auflösen, damit wir alle weniger Leid haben, uns frei entfalten können und wieder zu dem liebevollen Wesen werden, als das wir auf die Erde kamen.

Ich wünsche dir eine intensive Lesezeit

Anja

P.S.: Ebenso spannend und zur Thematik passend ist der Film: Ein verborgenes Leben.

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Erstellt durch: Anja Kolberg am Montag, 10 August, 2020
Thema: Blog - 2020, 2. Halbjahr, Buch: Schmöker
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